Heute ist es genau eine Woche her, als der Anruf aus dem Krankenhaus kam: Johanna hat endlich einen Platz in der Kinderklinik. Der Haken an der Sache war, dass es bereits zwei Tage später losgehen sollte.
Plötzlich sehen wir uns Herausforderungen gegenüber, die zwar einerseits seit Monaten bekannt, andererseits allerdings nicht so kurzfristig geplant waren.
Rund ein halbes Jahr hat es gedauert, bis wir diesen Schritt endlich gehen konnten. 6 Monate des Wartens. Zeit, die uns sehr viel Kraft und Nerven gekostet hat.
Zeit, die wir ständig mit den wachsenden Herausforderungen im Leben mit einem behinderten Kind konfrontiert waren und denen wir teilweise völlig hilflos gegenüberstanden.
Wenn du dein Kind nicht mehr aus den Augen lassen kannst und trotzdem versuchst, es in seiner Bewegungsfreiheit nicht zu sehr einzuschränken. Momente, in denen du dich fragst, was jetzt wichtiger ist: Das behinderte Kind vor allen Gefahren zu bewahren oder die Geschwisterkinder nicht zu sehr darunter leiden zu lassen?
Und dann kommt zu allem Übel auch noch ein LockDown hinzu. Alles zu, nichts geht mehr. Klinikaufenthalt auf unbestimmte Zeit verschoben. Im wöchentlichen Rhythmus finden Telefonate mit der Ärztin des Kinderzentrums statt. Ein kleiner Versuch, uns zumindest ein klein wenig zu helfen. Doch die ganzen Tipps und Ratschläge bringen nichts. Mit Sicherheit auch deshalb, weil einfach keine Kraft mehr da ist.
Die Zeit im Krankenhaus
Johanna ist im Krankenhaus. In der Kinderklinik unseres SPZ. Zusammen mit ihrem Papa. Zurück bleibe ich mit den anderen beiden Kindern. Doch von Trauer keine Spur. Im Gegenteil. Erleichterung macht sich in mir breit, als die beiden im Auto sitzen und losfahren. Dann das schlechte Gewissen. Ist es falsch, als Mutter auch mal an einem Punkt zu sein, an dem es einfach nicht mehr geht? Darf ich als Mama eines behinderten Kindes auch mal erleichtert sein, wenn ich nicht ständig auf dieses Kind schauen muss? Wenn ich einfach mal durchatmen und Nachts wieder schlafen kann?
In den letzten Tagen habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht. Und immer wieder kam das schlechte Gewissen hoch. Doch dann kamen die ersten Nachfragen von Freunden, wie es uns denn mit der Situation im Krankenhaus geht. Anstatt verurteilt zu werden, was man ja irgendwie erwartet, kommt viel Verständnis. Menschen, die absolut nachvollziehen können, dass ich mich erholen muss. Dass ich eine Pause brauche und dass wir entschieden haben, die anderen beiden Kinder nicht in der ganzen Zeit auch noch ständig durch andere Menschen betreuen zu lassen.
Sicher ist das Netzwerk vorhanden. Familie, die sich bereit erklärt, die Zwillingsschwester zu nehmen. Aber ist das wirklich die Lösung? Sollten wir doch tauschen, damit mein Mann keinen Urlaub dafür hernehmen muss?
Nach einige Gesprächen fühle ich mich jedoch eher bestärkt in unserer Entscheidung. Ja, es ist ok, wenn man als Mama mal nicht mehr kann. Es ist absolut in Ordnung, dankbar zu sein, eine Pause machen zu dürfen und wieder Kraft tanken zu können. Und es ist absolut richtig, wenn die Geschwisterkinder nicht umhergeschoben, sondern zuhause vom anderen Elternteil betreut werden.
Nach 14 Tagen im Krankenhaus – und ich werde innerlich immer ruhiger
Die vergangenen 14 Tage haben in unserem Leben viel geändert. Langsam werde ich innerlich ruhiger, genieße die abendliche Ruhe und die Nächte, in denen ich endlich wieder schlafen kann.
Mein Mann nutzt die Zeit in der Klinik, um für sich selbst etwas zu tun, ich kümmere mich zuhause um den Umbau der Wohnung. Alles muss sicherer werden, damit unsere Tochter nicht wieder ständig die Treppe hinunterfallen kann.
Immer wieder kommen Zweifel, ob der Weg richtig ist. Und immer wieder komme ich zu dem Schluss: JA! Jeder Schritt, jede Entscheidung die wir gerade treffen, ist genau das, was wir für unsere Familie gerade benötigen.
Die Gewissheit, dass der Umbau unser Leben langfristig entspannter machen wird, hilft mir, die Kraft aufzubringen, die ich derzeit benötige. Und ich kann jedem nur empfehlen, sich dafür zu entscheiden, auch Umbaumaßnahmen in Kauf zu nehmen oder andere vorübergehende Anstrengungen, um das Leben insgesamt zu erleichtern.
Wenn Veränderungen anstehen
Vielen Menschen fällt es schwer, anstehende Veränderungen durchzuziehen oder gar zu akzeptieren. Ja, es ist nicht einfach sich einzugestehen, dass das Leben mit einem behinderten Kind anders verläuft, als man es sich vorgestellt hat und noch viel schwieriger ist es, das Leben und häusliche Umfeld auf das behinderte Kind auszurichten.
Vor allem dann, wenn noch mehr Kinder Teil der Familie sind. Kinder, die nicht unbedingt mehr als nötig eingeschränkt werden sollten.
Ich habe mich immer wieder gefragt, wo die Grenze ist. Wie weit kann ich Einschränken, ohne die nötigen Freiheiten zu nehmen? Wo kann ich Grenzen ziehen, ohne den gesunden Kindern die Chance auf eine unbeschwerte Entwicklung zu nehmen?
Und muss ich wirklich alles so absichern, dass dem behinderten Kind nichts mehr passieren kann? Oder darf ich auch Experimente starten, um dem behinderten Kind die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln?
Bei uns steht gerade alles Kopf. Der Umbau soll dafür sorgen, dass Johanna nicht mehr so leicht weglaufen kann. Das hat zur Folge, dass auch die Geschwisterkinder Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Trotzdem haben alle etwas davon:
Wenn Johanna nicht mehr so leicht weglaufen kann, sind alle entspannter. Wir müssen das Kind nicht mehr auf Tritt und Schritt verfolgen, können auch mal sitzen bleiben, wenn sie im Haus unterwegs ist.
Ich als Mutter kann wieder besser schlafen, weil ich weiß, dass das Haus gesichert ist.
Ein weiterer Vorteil: Die Kinder haben nun alle drei jedes ein eigenes Zimmer.
Und wenn ich meine beiden gesunden Kinder so anschaue, sind diese mit der Lösung sehr zufrieden. Für ein eigenes Zimmer nehmen sie die Einschränkungen gerne in Kauf.
Die Erleichterung kommt durch
Ja, die Erleichterung kommt. Langsam, aber sicher.
Die Trennung über mehrere Wochen ist nicht leicht. Doch wir alle werden ruhiger, entspannter und können wieder Kraft tanken. Kraft, die wir für den nächsten Abschnitt unseres Marathons benötigen.
Dafür nehme ich dies alles gerne in Kauf.
Ich kann und möchte betroffene Eltern ermutigen, solche Schritte zu gehen. Denn am Ende ist es immer noch ein Marathon, kein kurzer Sprint, der zu laufen ist. Und diesen Marathon sollten wir uns so angenehm wie möglich machen.
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